
Franz von Assisi als
"rolemodell" für uns heute
Franz von Assisi hat die ganze
Welt als beseelt angesehen: die
Lebewesen (Tiere, Pflanzen) und
Gestirne (Sonne, Mond) und auch
die Elemente (Erde, Feuer, Wasser,
Luft). Franz spricht sie alle als
Geschwister an, denn sie sind mit
uns Menschen in eine Schöpfungs-
ordnung eingebunden. Nach seiner
Überzeugung hat die sichtbare Welt
unmittelbar mit Gott zu tun. Das
Leben der Kreatur hat im Leben
Gottes seinen Ursprung und seinen
Bestand.
Gemeinsam mit der ganzen Schöpfung will Franz von Assisi das Lob Gottes singen. Er sagte einmal: Früh morgens, wenn die Sonne aufgeht, sollte jeder Mensch Gott loben, der sie geschaffen hat, denn durch sie werden unsere Augen am Tag erleuchtet. Am Abend, wenn es Nacht wird, sollte jeder Mensch Gott loben wegen des Bruders Feuer, weil durch ihn unsere Augen bei Nacht erleuchtet werden.
Franz‘ Begleiter schrieben später: Wir, die wir mit ihm zusammen waren, sahen, wie er sich bei fast allen Kreaturen innerlich und äußerlich beständig freute, wie er sie berührte und gerne sah. Damit war sein Geist nicht auf der Erde, sondern schien im Himmel zu sein.
Nach der Legende war Franz von Assisi sterbenskrank, als er seinen Sonnengesang verfasste. Trotzdem fühlte er sich geborgen in Gottes Schöpfungsordnung. Selbst der Tod, den alle Menschen fürchten, ermahnt Franz zum Lobe Gottes. Der Tod erscheint als ein natürlicher Vorgang, nicht als etwas Fatales und Böses für den Menschen. Als Unglück erweist sich am Ende allein der „zweite Tod“, nämlich dann, wenn der Mensch nicht im Einklang mit dem Willen Gottes gelebt hat. Dankbarkeit für die Schöpfung ist der Leitgedanke des ganzen Sonnengesanges.
Der Schöpfungsglaube drückt die absolute Freiheit Gottes bei seinem Handeln aus. Gott hätte eben auch ganz einfach die Welt nicht erschaffen können. Aber es gibt mich, es gibt Sie, liebe Leser, es gibt unsere Welt. Damit ist unser Leben nicht einfach nur ein Zufall. Auf die Frage „Warum bin ich überhaupt da?“ könne wir dankbar antworten: Es gibt mich, weil ich von Gott gewollt und nach seinem Willen geschaffen bin.
Die Welt verdankt ihr Dasein nicht sich selbst. Dass der Mensch sagen kann: „Ich bin!“ – das ist Gnade. Wir empfangen ja das Leben von Gott ohne unser Zutun als Geschenk. Gott setzt den Anfang, den wir dankbar immer wieder neu erleben können. Er ereignet sich jeden Morgen neu beim Anblick des Sonnenaufgangs, angesichts eines neugeborenen Kindes, beim Aufstehen nach langem Krankenlager oder wenn im Frühling das erste Grün sprießt. In allen diesen Anfängen begegnet uns Gottes Gnade.
Gott ist da als Garant des Lebens und will nicht, dass seine Schöpfung ins Nichts zurücksinkt. Am Ende der Schöpfungsgeschichte heißt es: „Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut“ (1Mose 1,31). Die Schöpfung entspricht dem Willen und dem Wesen des Schöpfers. Dankbar sehen wir uns als Teil einer Schöpfungsordnung, die Gott nicht aus seinen Händen geben wird. Die Unvollkommenheit des Menschen aber ist eine Frage an den Menschen selbst, nicht an Gott.
Doch daran schließt sich der Glaube an, dass Gott die Welt einmal von all diesen Widersprüchen erlösen wird.
Der Sonnengesang des Franz von Assisi lädt uns heute ein, die Welt und unser Leben als Gnade Gottes zu begreifen, für die wir dankbar sein können.
Dietmar Otte